Dichtestress in Sri Lanka

Ich sitze, wie ich das hier schreibe, am Flughafen von Delhi. Es ist der 204. und letzte Tag meiner Reise. Höchste Zeit also, nochmals ein paar Reisegedanken aufzuschreiben. Selbst, wenn sie nicht alle Platz finden werden, hier auf dem „Papier“ – sie haben längst auch nicht mehr alle Platz in meinem Kopf. 204 Tage, 10 Länder, 73 verschiedene Übernachtungsorte. Sieben Monate, in denen sich ein Tag wie eine Woche anfühlte und eine Woche wie ein Monat, so gefüllt waren die Stunden mit Eindrücken und Bildern und Erlebnissen. Es ist seltsam, mit dem Reisen. Weil sich das Reisen mit dem Vergehen der Zeit auf einmal nicht mehr wie Reisen, sondern wie das normale Leben anfühlt. Unterwegssein wird zur Lebensart. Umstände, die einst seltsam anmuteten und ungewohnt waren, werden zur Normalität. Und alltägliche Kleinigkeiten können zu mittleren Herausforderungen anwachsen (zum Beispiel, in Indien einen Geldautomaten aufzutreiben, in dem sich wirklich Geld befindet).

Es hat in meinen Leben über 43 Jahre und 60 Länder gedauert, bis ich in Indien angekommen bin. Kaum je habe ich ein Land erlebt, in dem das Leben derart intensiv und farbig und überwältigend und ermüdend und berauschend und rau und warmherzig und beflügelnd und so wahnsinnig schwierig zu beschreiben ist. Und nie ist mir ein Land so prallvoll vorgekommen: Voller Leben, Menschen, Lärm, Farben, Stimmen, Mystik, Abfall, voller Düfte und Gestank, Geschichte und Geschichten, und, ja, auch voller Kühe! Ich habe zu Kühen heute ein völlig anderes Verhältnis als früher, so wie zu ein paar anderen Dingen auch, (zum Beispiel, zu Fäkalien an den Schuhen…), aber dazu ein andermal mehr.

Denn Indien muss warten. Ich bin mit meinen Reiseerzählungen noch nicht soweit, bin mit meinen Worten in Bangkok hängen geblieben, das ist schon eine Weile her, ich weiss, aber ich musste in der Zwischenzeit ein Buch fertigschreiben :-). Und vielleicht brauchen die Eindrücke von Indien auch noch einen Moment, um sich zu setzen, bevor sie erzählt werden können.

Also zurück nach Thailand. Zur Erinnerung: In Bangkok hat mir eine hochschwangere Ärztin einen neuen Zahn eingepflanzt, habe ich in einer Kirche (!) den wahrhaftigen Weihnachtsmann mit der gewaltigsten Stimme je getroffen (ich frage mich gerade, ob ich das überhaupt erzählt habe…), habe ich zum ersten Mal ein Pferderennen besucht und zum ersten Mal auf Pferde gewettet (auf die Nummer 11!) (mit Erfolg!) (danke, Karin!) – und ich habe mich eines Morgens zum ersten Mal mit der konkreten Absicht auf den Weg gemacht, einen Menschen zu bestechen (mit etwas weniger Erfolg….).

Dazu angestiftet hat mich eine junge Engländerin, die ich auf einem Schiff in Vietnam kennengelernt habe (die Frau, die wegen dem Rattennest über ihrer Kajüte die ganze Nacht nicht hat schlafen können). Die Bilder, die sie mir vom obersten Stockwerk des Ghost-Towers in Bangkok zeigte, genügten: Da wollte ich auch hinauf. (Das passiert mir immer wieder: Dass mir ein anderer Reisender einen Floh ins Ohr setzt, der einfach nicht mehr rauszukriegen ist…) Beim Ghost-Tower handelt sich um eine Wolkenkratzer-Bauruine, um eine Hochhausleiche, sozusagen, und ich gebe meiner morbiden Ader die Schuld, dass mich verlassene Orte anziehen wie Käse die Mäuse. 1990 begann man den Wolkenkratzer zu bauen, 1997 hörte man damit auf: Die Finanzkrise kam, der Bauherr ging pleite und geriet überdies unter Verdacht, einen Gerichtspräsidenten ermordet zu haben. Der Bau wurde gestoppt. Alle 49 Stockwerke waren im Rohbau fertiggestellt – und in diesem Zustand befinden sie sich noch immer. Den Namen Ghost-Tower hat das Gebäude von den Anwohnern in der unmittelbaren Nachbarschaft erhalten; sie sind überzeugt, dass es darin spukt. Und ich zweifle nicht daran, dass sie auf die eine oder andere Weise Recht haben.

Der Haken am Ausflug in den Ghost-Tower: Das Betreten ist strengstens verboten. Seit sich ein Schwede in den leeren Mauern erhängt haben soll, gilt das Verbot für Westler noch etwas mehr als für Einheimische. Ausser, die Westler haben genügend Geld im Sack, um den Wächter zu bestechen.

Leider, ich muss es zugeben, bin ich in Sachen Bestechung nicht sehr geübt, meine Erfahrungen lassen sich an einer Hand abzählen. (In Vietnam musste ich vor Jahren am Flughafen einem Beamten Geld zustecken, weil mein Velo nicht durch die Durchleuchtungsmaschine passte, ich aber nicht ohne mein Velo nach Hause fliegen wollte … und in Swasiland forderte ein Grenzwächter einst nichts Geringeres, als dass ich ihn heiratete, um die Grenze passieren zu können. Ich habe es dann allerdings doch noch geschafft, ledig auf die andere Seite rüber zu gelangen.)

Aber zurück zum Ghost-Tower: Wegen meiner mangelnden Erfahrung bin ich etwas nervös. Ich bin nicht mal gut im Märten, und unaufgefordert aktiv zu bestechen, stelle ich mir noch viel schwieriger vor. Als mentale und personelle Verstärkung nehme ich deshalb einen Schotten mit, den ich gerade mal fünf Minuten lang kenne, als er sich spontan dazu bereit erklärt, mich in meinen illegalen Machenschaften zu unterstützen.

Der Ghost-Tower ist einfacher zu finden, als gedacht: Er ist überragend und schon von weitem zu sehen. Leider sind um ihn herum blecherne Wände aufgebaut, zu hoch, um darüber zu klettern. Doch der Wächter ist rasch zur Stelle, als wir alles andere als unauffällig um die Wände herumstreichen und einen Durchschlupf suchen. Ebenso schnell ist klar, dass er sich gerne bestechen lässt.

Nur, es zeigt sich, was ich befürchtet hatte: Ich bin eine miserable Bestecherin. Und der Schotte ist auch nicht wirklich eine Hilfe. Wir erhalten für umgerechnet zwei Dollar Bestechungsgeld zwar Zugang zum benachbarten Gebäude, ebenfalls ein leerstehender Rohbau, der allerdings nur fünf Stockwerke hoch ist. Man sieht von hier zwar hinüber in die offenen und sterbensleeren Etagen des Ghost-Towers – aber weil wir zu früh aufgegeben haben, sind wir eben nur hier und nicht drüben im Turm drin. Im Nachhinein sind wir beide sicher, dass für zehn Dollar mehr drin gelegen hätte. (Ob ich es mit meiner Höhenangst geschafft hätte, im gegen Aussen offenen Treppenhaus bis in den 49. Stock zu steigen, ist eine andere Frage, die unbeantwortet bleibt…).

In Thailand war dann auch noch dies: Ich ging seit langem wieder mal rennen, im Lumpini-Park. In diesem Park leben riesige Echsen, die aussehen, als wären sie vor 70 Millionen Jahren zur Welt gekommen, und die auf Fischen von der Grösse eines Tennisschlägers herumkauen. Die krokodilsgrossen Echsen sind eine Plage. Die Stadtverwaltung versucht sie zu dezimieren, weil es zu viele Unfälle mit Echsen und Radfahrern gibt. Die Echsen sind zwar eindrücklich, aber das ist nicht das, was ich erzählen wollte – sondern dass bei meiner Jogging-Runde im Lumpini-Park eine meiner surrealen Fantasien real wurde: Die Fantasie, dass auf einen Schlag die Welt um mich herum still steht, als wäre alles ausser ich versteinert worden.

Und das kam so: Da es keine Gerüchte darüber gibt, dass je ein Jogger oder eine Joggerin von einer der riesigen Echsen verspiesen worden wäre, bin ich nicht die Einzige, die im Lumpini-Park rennen geht. Wir sind Hunderte. Hier Abends seine Runden zu drehen, fühlt sich an, wie am Grandprix von Bern teilzunehmen; man muss ständig aufpassen, dass man nicht unter die Füsse der anderen kommt. Ich renne also zügig in der Masse, die Läuferherde ist ein stetig fliessender Menschenstrom, in der Gegenrichtung zu laufen, wäre eine Unmöglichkeit. Doch punkt 18 Uhr steht alles still: Die Läufer stoppen abrupt und rühren sich nicht mehr. Jede Bewegung erstirbt, Hunderte Menschen erstarren – nur eine einzige Läuferin trabt in dem bizarren Standbild weiter: Ich. Allerdings nicht lange: Ich erschrecke derart ob des plötzlichen Stillstands, dass ich mit Verspätung ebenfalls einen Vollstopp reisse. Als auf einmal aus allen Lautsprechern die thailändische Hymne erschallt, wird mir klar, dass Anhalten nicht die dümmste Option gewesen ist. Womöglich hätte man mir andernfalls “Beleidigung des Könighauses“ vorgeworfen, was einen in diesem Land ins Gefängnis bringen kann.

Und dann erlebe ich in Thailand nach ein paar Tagen Ausspannen am Strand einer Insel die eigenwilligste Geburtstagsfeier, an er ich mich einige Male frage, wo ich denn jetzt gelandet bin. Ich treffe nämlich das junge Paar wieder, mit dem ich in Laos unterwegs war, und wir feiern seinen Geburtstag (es ist der Mann, dessen Name ich nicht nennen darf, weil sein Chef dachte, er sitze an einer Weiterbildung in der Schweiz, während er in Asien am rumreisen war…): Wir feiern in einem deutschen Bierhaus in Bangkok, in dem man sich fühlt, wie am Oktoberfest, inklusive Biertrinkwettbewerbe, mit dem Unterschied, dass wir die einzigen hellhäutigen Gäste sind und ein populäres thailändisches Liebes-Musical gezeigt wird, deren Lieder rund fünfhundert schaukelnde Gäste enthusiastisch mitsingen. Ein schräger Abend, den ich nicht missen möchte, weil sich mir eine völlig unbekannte Seite Thailands zeigte.

Ein Flug mitten in der Nacht bringt mich schliesslich von Bangkok nach Colombo. Der Flughafen liegt etwas ausserhalb der Stadt, wegen meiner späten Ankunft buche ich ein billiges Hotel gleich beim Flughafen, mit 24-Stunden-Reception, vorsichtshalber schreibe ich auch noch eine Mail, dass ich nach Mitternacht ankommen werde. Als ich dann vor der Tür stehe, liegt die 24-Stunden-Reception verlassen da im Schlummerlicht. Zum Glück habe ich dem Taxifahrer gesagt, er solle warten, bis ich drin bin – denn ich komme nämlich nicht hinein. Klopfen, rufen, anrufen – alles bringt nichts. Ich blicke den Taxifahrer an: Ob er mich in ein Hotel in der Stadt bringen kann, in dem man um drei Uhr früh unangemeldet einchecken kann. Er nickt.

Mein Taxichauffeur sieht aus, als würde er Sam heissen. Er erzählt mit grossem Stolz, dass er seit 55 Jahren Taxifahrer in Colombo sei. Ich frage ihn nach seinem Alter: 75. Sam ist vielleicht der älteste und bestimmt der langsamste Taxifahrer, bei dem ich je im Wagen sass, was die Fahrt indes nicht sicherer macht: Die vielen Lastwagen und Busse rasen durch das Schwarz der Nacht hinter uns in einem Wahnsinnstempo auf uns zu und werden durch Sams unerwartete Langsamkeit zu unschönen Bremsmanövern gezwungen. Ich rechne jederzeit mit einem Auffahrunfall und sitze etwas unlocker auf der Rückbank. Nichts desto trotz beginne ich, Sam zu mögen. Das passiert mir oft auf dieser Reise; dass mich jemand sozusagen adoptiert und unter seine Fittiche nimmt, sei es eine alte Frau in einem lokalen Bus oder eben ein väterlicher Taxifahrer, dessen Mission es wird, mir ein Bett für die Nacht zu suchen. Auf der sehr sehr sehr sehr langsamen und langen Fahrt in die Stadt erzählt mir Sam seine liebsten Horrorgeschichten; sie handeln davon, wie gefährlich es für alleinreisende Frauen in Sri Lanka ist. Er erzählt zum Beispiel von jener unvernünftigen Holländerin, die ihn partout nicht als Taxifahrer für ihre ganze Reise buchen und lieber mit dem Zug fahren wollte. Ihre Sturheit (das sind Sams Worte, wohlverstanden) hatte zur Folge, dass sie ausgeraubt wurde und ihn am Ende ihrer Reise doch noch anrief, weil sie ohne Geld da stand, worauf er ihr aus der Patsche habe helfen müssen. Er schreibt mir dann seine Telefonnummer auf, für den Fall der Fälle… Es ist drei Uhr früh, als wir bei einem Hotel ankommen, wo ich ein günstiges Zimmer kriege.

Als ich am nächsten Morgen dann tatsächlich mit meinem Projekt „Zugfahren“ vorerst scheitere, weil die Züge für die nächsten Tage ausgebucht sind, und ich beschliesse, mir mit drei Dänen ein Taxi zu teilen, wähle ich – trotz schlechten Gewissens – nicht Sams Nummer. Weil wir bei seinem Fahrtempo nie ans Ziel kommen würden.

Gleichentags mache ich in Colombo die Erfahrung, dass nicht alle Chauffeure sind wie Sam. Ich verhandle, wie ich meine, dass es richtig ist, bevor ich in das Tuktuk steige: Ich vereinbare einen fixen Preis. 200 Rupien. Vielleicht hätte ich stutzig werden müssen, dass der Fahrer nicht mal zu handeln versuchte. Als ich aussteige und ihm die 200 Rupien in die Hand drücke, schaut er mich mit (gut gespielter) Entgeisterung an. 200? 400 hätten wir vereinbart. Das haben wir nicht. Ich bin mir eigentlich sicher. Aber auf einmal bin ich mir nur noch fast sicher. Ich sage ihm, dass er mich betrüge und dass ich enttäuscht sei, weil ich dachte, dass die Leute hier so freundlich seien. Es funktioniert nicht, er beharrt auf seinen 400. Und ich weigere mich, sie zu zahlen. Schliesslich gebe ich auf und drücke ihm 300 in die Hand. Denn das war, bevor ich Petra traf, die ohne zu verhandeln ins Tuktuk steigt, den (fairen) Preis selbst festlegt, stets aus dem Wagen klettert, bevor sie bezahlt und einfach davon läuft, wenn der Fahrer damit nicht zufrieden ist. Was funktioniert, weil er weiss, dass der Preis eigentlich stimmt.

Sri Lanka, das auf der Weltkarte aussieht wie ein Tropfen, der unten an Indien hängt, das viele auch Klein-Indien nennen, das aber doch so anders als Indien ist. Sri Lanka, das sind neongrüne Vögel in den orangen Blüten der Bäume, grellbunte Tempel mit absonderlichen Götterfiguren, geschwungene Hügellandschaften mit grünen Teeplantagen, riesige Schildkröten, die neben einem im Meer auftauchen und einen zu Tode erschrecken, das sind die Scherenschleifer am Strassenrand, die das Velo auf die Ständer stellen und mit den Pedalen die Schleifsteine antreiben, das sind Züge, in denen die Menschen aus den Fenstern und Türen hängen, weil sie derart überfüllt sind, dass man sich darin kaum mehr bewegen kann – und ebenso volle Busse.

In einem davon lerne ich Andrea kennen. Die Heilpädagogin aus El Salvador reist seit Monaten alleine um die Welt und wird noch viele weitere Monate weiterziehen. Sie setzt mir mit ihrem Reiseblog tausend Ideen in den Kopf, wo ich auch noch überall hin muss. Obwohl wir uns fünf Stunden lang zusammengepfercht in einem Bus jeden Zentimeter Platz erkämpfen müssen, amüsieren wir uns köstlich, es wird die lustigste Busfahrt auf dieser Reise. Nicht zuletzt, weil wir quasi dem Busfahrer auf dem Schoss sitzen, der das Kunststück schafft, den Fahrplan einzuhalten. Was wohl weniger an den Keksen liegt, die wir ihm füttern, sondern eher an seinem Fahrstil und daran, dass er alle zwei Minuten auf seine Uhr blickt und das Gaspedal jedes Mal noch ein bisschen stärker drückt.

Sri Lanka steht auch für die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Menschen. In Kandy (ach ja, und die Orte haben hier so wunderschöne Namen wie Kandy und Ella) steige ich in einem Guesthouse ab, dessen Besitzer mich wie ein Mitglied der Familie empfängt. Er macht alles für seine Gäste, stellt sich sogar am Bahnhof für ein Zugticket an, obwohl die Chance winzig ist, eines zu ergattern. Und er findet seine Freude daran, Reisende zusammenzuführen. So beschliesst er, dass es für mich das Beste ist, wenn ich mir zusammen mit einem italienischen Gast ein Taxi teile, weil das günstiger ist. Das Leuchten in seinen Augen verrät mir, dass er mich eigentlich am liebsten gleich mit dem Italiener verheiraten würde; ich bin nicht überrascht, als er uns beim Abendessen gegenüber an einen Tisch setzt, bei Kerzenlicht, als seine einzigen Gäste… Nun, die Verkuppelungsversuche fruchten einzig dahingehend, dass wir uns für drei Tage zusammen tun, um Kosten zu sparen. Der Taxifahrer übrigens, der uns nach Ella bringt, kann altersmässig mit seinem Taxi-Fahrer-Kollegen Sam beinahe mithalten. Er stoppt bei einem Losverkäufer, die sich in diesem Land ungemeiner Beliebtheit erfreuen, und kauft einen Stapel Lose, in der Überzeugung, dass er heute gewinnen wird: Weil heute sein 70. Geburtstag ist. Wir laden ihn sodenn zu einem Geburtstagsessen ein.

Zwei Wochen nur habe ich Zeit für Sri Lanka, dann geht die Reise weiter nach Varanasi, an das ich mein Herz verlieren werde, wo ich die grossartige Petra kennen lerne, die mir Indien auf die bestmögliche Weise näher und nahe bringt. Doch darüber werde ich schreiben, wenn ich wieder zu Hause bin.

Kürzlich sass ich im Zug, seine Verspätung hatte lediglich eine halbe Stunde betragen, weshalb ich ihn um ein Haar verpasst hätte. Fünf Stunden dauerte die Fahrt von Jaipur nach Agra; fünf Stunden, in denen man viel Zeit zum Nachdenken hat, zum Beispiel darüber, wie es wohl sein wird, nach über 200 Tagen ins Schweizer Alltagsleben zurück zu kehren. Und plötzlich war sie da, die Traurigkeit, sie fühlte sich an wie Liebeskummer: Weil ich etwas loslassen muss, das ich liebgewonnen habe, und das ich nicht loslassen möchte. Ich habe das Reisen liebgewonnen. Es ist zu einem Teil von mir geworden, der mir fehlen wird, sobald ich wieder sesshaft(er) sein werde. Als Trost bleibt das Wissen, dass ich zurückkehren kann, zurück ins Glück, das sich Weltenbummeln nennt.