Danke, Lars

Danke, Lars.

Das hier ist eine traurige Geschichte, und eine schöne, eigentlich, wenn sie ein anderes Ende hätte. Ich schreibe sie mit einem Herzen so schwer, dass es schmerzt, mit Tränen, die meinen Blick verschleiern, und in tiefer Dankbarkeit. Wie ich hier sitze und um Worte ringe, lässt Lars sein Leben los.

Am Anfang stand eine Email mit dem Vermerk: Frischfleisch. Damit war ich gemeint. Wir befinden uns im Jahr 2015, wenn ich mich richtig erinnere, und mein lieber Freund Andreas Izquierdo hat seinem Literartur-Agenten Lars Schultze-Kossack das Manuskript eines kleinen Büchleins geschickt, das ich geschrieben hatte: Geschichten über den Mond, gesammelt auf meinen Reisen durch die Welt. Lars sagte sofort ja; er war bereit, mein Agent zu werden, und ja, gerne auch für meinen nächsten Krimi, der da noch nicht erfunden und noch nicht geschrieben war.

Ich ging dann mal auf Weltreise, in sieben Monaten rund um den Globus, und unterwegs schrieb ich meinen Kriminalroman Blind. Auf einer Zugfahrt, die 36 statt 24 Stunden dauerte und mich von Varanasi nach Jodhpur brachte, schrieb ich das Buch zu Ende; wundersamerweise gab es in dem indischen Holzzug eine funktionierende Steckdose. In Jodhpur angekommen, mailte ich Lars erwartungsvoll mein Manuskript – und hörte erst mal nichts.

Zurück in der Schweiz stellte ich fest, dass es der 450-Seiten-Schunken wegen der schlechten Leitung nie nach Hamburg geschafft hatte. Also schickte ich ihn erneut – und zwei Monate später rief Lars mich an. Respektive: Er rief mich dreimal hintereinander an, weil mein Handy seine Nummer nicht erkannte und ich den Anruf aus Deutschland zunächst nicht entgegennahm. Doch bei seinem dritten Versuch war dem Gerät die Wichtigkeit des Anrufs förmlich anzuhören.

Lars sagte: Ich habe einen Verlag für dich. Einen grossen, tollen Verlag, der dir einen schönen Vorschuss zahlt. Bestseller können die. Wir haben vierundzwanzig Stunden Zeit, um Ja oder Nein zu sagen.

Ich fragte: Nein zu sagen wäre wahrscheinlich ganz schön dumm?

Lars: Ja, das wäre ganz schön dumm.

Ich: Gut, dann sage ich ja.

Nachdem wir den Vertrag unterschrieben hatten, reiste Lars nach Zürich. Wir sassen am See, er hatte mir ein Buch mitgebracht, es trug den Titel: «Wie man’s vermasselt». Und dann sagte Lars zu mir: «Du kannst so viel, wenn du dich auf etwas fokussierst.»

Er musste mich nicht überzeugen. Ich hatte mich schon entschieden, meinen Job als Journalistin zu kündigen, meine Wohnung auf- und mein Hab und Gut wegzugeben und mich als schreibende Nomadin zu versuchen. Es gab Kollegen, die schüttelten über meinen Entscheid verständnislos den Kopf. Lars fand ihn grossartig. Niemand sonst hat mich so sehr unterstützt wie er. Und er versprach mir, als mein Agent dafür zu sorgen, dass ich finanziell über die Runden kommen würde.

Weder er noch ich konnten damals wissen, dass mein Buch Blind zu einem Bestseller werden und dass weitere Verträge mit Blanvalet folgen würden. Aber es wurde – und es folgten, neun Bücher waren es seither. Lars hat vom ersten Moment an an mich geglaubt. Sein Vertrauen in mich war unerschütterlich. Und wenn jemand so sehr an dich glaubt, hilft das ungemein, auch selbst an sich zu glauben.

Ohne Lars stünde ich nicht hier, wo ich heute bin. Ich könnte nicht das Leben führen, das ich lebe und liebe. Lars hat es möglich gemacht, dass sich mein Lebenstraum erfüllte, den ich vor lauter Beschäftigtsein im Leben schon vergessen hatte. Er fiel mir erst viel später wieder ein, als ich durch die schmalen Gassen von Stone Town schlenderte, dieser energiegeladenen Stadt auf Sansibar. Ich erinnerte mich auf einmal, dass Henning Mankell schon vor vielen Jahren stets mein Vorbild war; weil er vom Bücherschreiben leben konnte, und weil er die kalten Winter in Afrika verbrachte. Ich erstarrte und realisierte auf einen Schlag: Der Traum ist wahr geworden. Ich kann vom Bücherschreiben leben und Sansibar ist mir zu einem Zuhause geworden.

Man muss gross träumen – nur dann können grosse Träume auch in Erfüllung gehen.

Und man muss einen Lars im Leben haben.

Lars war der beste Agent, den ich mir wünschen konnte, und er war nicht einfach nur Agent. Er war auch wunderbarer Freund und guter Mensch. Er war humorvoller Lebensberater – was haben wir gelacht! – und standfester Trinkgenosse, und er war auch immer mal wieder Retter in der Not. Zum Beispiel dann, wenn er realisierte, dass ich aus Spargründen ein Zimmer in einem Stundenhotel gemietet hatte, was er nicht akzeptieren wollte, und mir morgens um zwei Uhr früh flugs ein Bett in seiner Familiensuite anbot. Wenn etwas war: Lars war da. Und auch wenn grad mal nichts war, war Lars da.

Bis mich seine Frau Nadja – die beste Agentin und liebe Freundin – diese Woche aus seinem Spitalzimmer anrief und mir sagte, dass Lars sterben werde. Sie werde, wenn ich ihm noch etwas sagen wolle, auf ihrem Handy den Lautsprecher einschalten, vielleicht könne er es ja hören. Und dank Nadja konnte ich mich bei Lars bedanken, dafür, dass er für mich da war, dass er an mich glaubte, dass er mein Leben verändert hat, dass er so viel für mich getan hat und ich ihm so viel verdanke. Und unendlich dankbar bin ich auch Nadja, dafür, dass sie in dieser schwersten Zeit an mich gedacht hat, mich anrief, mir letzte Worte ermöglichte, dafür, dass sie eine so unglaublich starke Kämpferin ist. Ich wünsche Nadja und ihren Kindern einen Ozean voller Kraft und Hoffnung – und dass die schönen Erinnerungen den Schmerz verdrängen können.

Und jetzt sitze ich hier in meinem neuen Zuhause auf Sansibar, wo ich nicht sein könnte, wenn ich Lars nicht begegnet wäre. Ich weine und bin traurig, dass Lars nicht mehr da sein kann. Er wird so sehr fehlen. Und ich bin froh und dankbar, dass es ihn in meinem Leben gab. Was für ein unermessliches Glück ich hatte, dass sich unsere Wege gekreuzt haben, dass ich Lars kennen durfte, dass er mich begleitet hat, dass er mein bester Agent der Welt war.

Danke, Lars.

Lars Schultze-Kossack ist am 3. April 2024 gestorben.